Nach Wassermelonen-Eklat: Der ewige Zwist um die einzig wahre Pizza (2024)

Eine Frage der Ehre

Die neapolitanische Pizza ist Unesco-Kulturgut und die italienische Food-Ikone schlechthin. Mit dem legendären Fladenbrot wird in letzter Zeit im großen Stil herumexperimentiert. Oder, je nach Standpunkt, herumgefrevelt.

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    Dominik StraubFreier Journalist

In Neapel werden die Top-Pizzaioli – wie die Pizzabäcker am Fuß des Vesuvs genannt werden – verehrt und gefeiert wie Rockstars. Und so erregt es jeweils sehr viel Aufsehen, wenn einer von ihnen eine neue Kreation auftischt. Der 35-jährige Vincenzo Capuano, seines Zeichens Pizza-Weltmeister in der Kategorie „Pizza Contemporanea“ von 2022, hat dies vor einigen Monaten getan: Er belegte sein Fladenbrot mit den üblichen gestampften Marzano-Tomaten, mit Fior-di-Latte-Mozzarella, Salz-Sardellen und – um die Schärfe der „acciughe“ etwas auszubalancieren, mit… Wassermelonen!

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Er hätte das besser unterlassen. Über dem Weltmeister ging ein gewaltiger, italienweiter sh*tstorm nieder; in seiner Heimatstadt Neapel wurde er als Nestbeschmutzer oder gar Verräter beschimpft, der wegen eines durchsichtigen Werbegags die sinn- und identitätsstiftende neapolitanische Nationalspeise verhunze.

Einen ähnlichen Frevel hatte kurze Zeit später auch Gino Sorbillo von der gleichnamigen Kult-Pizzeria „Gino e Toto Sorbilla“ an der Via dei Tribunali im Herzen der Altstadt Neapels begangen. Er belegte eine Pizza mit Ananas und verstieg sich zur Aussage: „Glaubt mir, das schmeckt richtig gut!“ Auch Sorbillo erlebte einen landesweiten Aufschrei der Empörung: Pizza mit Wassermelonen, Ananas oder auch mit Pommes geht für viele traditionsbewusste Italienerinnen und Italiener gar nicht, und erst recht nicht in Neapel.

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Nur zwei anerkannte Varianten

Eigentlich gibt es ja nur zwei „echte“ neapolitanische Pizzen, nämlich die Marinara und die Margherita, alles andere istin den Augen der Puristen Firlefanz. Die beiden Originale sind denkbar einfach in ihrer Zusammensetzung: Die Pizza Marinara besteht aus dem typischen Teigboden aus Weißmehl, Salz und Bierhefe und wird mit frischen Tomaten, etwas Knoblauch und Oregano belegt; außerdem gehört „un filo d‘olio“ dazu, also ein paar Tropfen Extra-Vergine-Olivenöl. Mozzarella dagegen hat nichts verloren auf der Marinara. Die Margherita wiederum ist die Königin der Pizzen, benannt nach der in Neapel sehr beliebten früheren Königin Margherita von Savoyen. Der Klassiker kommt in den italienischen Nationalfarben daher: Grün wie die Basilikum-Blätter, weiß wie der Mozzarella-Käse und rot wie die San-Marzano-Tomaten.

Um die Ausbreitung von Perversionen wie der Pizza Hawaii einzudämmen, wacht die „Associazione Verace Pizza Napoletana“ seit 1984 in Neapel über die Einhaltung des klassischen Margherita-Rezeptes.

Die Pizza Margherita ist im Jahr 2017 sogar in die Liste der immateriellen Weltkulturgüter der Unesco aufgenommen worden – oder vielmehr nicht die Pizza selbst, sondern „die Kunst der neapolitanischen Pizzaioli“. Auf der Unesco-Liste befinden sich Volksbräuche, traditionelle Handwerkskünste und Ähnliches: Neben der Kunst der Pizzaioli sind zum Beispiel auch die spanischen Flamenco-Tänzer, die Geigenbauer von Cremona oder auch die französische und die mediterrane Esskultur verzeichnet.

Über die Einhaltung des klassischen Margherita-Rezeptes wacht in Neapel seit 1984 die „Associazione Verace Pizza Napoletana“ (AVPN) – gegründet nicht zuletzt, um die Ausbreitung von Perversionen wie der Pizza Hawaii mit Ananas oder Tiefkühlpizzen einzudämmen. Die gestrenge AVPN konnte jedoch freilich nicht verhindern, dass die Zahl der Pizza-Varianten immer größer wurde. Im Gegenteil: In den letzten Jahren haben vor allem junge neapolitanische Pizzaioli wie Capuano, die ihr Handwerk noch bei ihren Vätern und Großvätern gelernt haben, die Fesseln der Tradition gesprengt und mit großer Kreativität immer neue Rezepte ausprobiert.

Die neuen Kreationen laufen unter der Bezeichnung „Pizza Gourmet“ oder „Pizza Gastronomica“ – und werden mit Pasten aus Pinienkernen, Tartar aus sizilianischen Gamberi, Kaviar mit Limetten, Hühnerbrust-Streifen und feinem Rinderfilet belegt. Der Fantasie der Pizzaioli – oder auch der Sterneköche, die das Kreativ-Potenzial der Pizza inzwischen ebenfalls entdeckt haben – keine Grenzen gesetzt.

Pizza Margherita mit einer Margarita


Die neue Generation dieser Pizzaioli ist sehr erfolgreich: Vincenzo Capuano, der aus dem neapolitanischen Problem-Quartier Scampia stammt, hat inzwischen auch in Bari, Rom, Mailand und Turin Pizzerien eröffnet; weitere in La Spezia, Amsterdam und in Pristina sollen demnächst folgen.Gino und Toto Sorbillo haben neben ihren Lokalen in ganz Italien auch in Miami (Florida) und in Tokyo Pizzerien.

„Im Grunde kann man eine Pizza nach Lust und Laune belegen“, betont Vincenzo Capuano. Wichtig sei lediglich, dass man hochwertige Zutaten verwende, angefangen bei den Tomaten und dem Mozzarella-Käse. Und entscheidend sei letztlich der Teig: „Am besten knetet man ihn von Hand, um seine Konsistenz zu fühlen. Und er muss danach mindestens 24 Stunden, besser 48 Stunden ruhen und aufgehen, ehe man ihn belegt und in den Holzofen schiebt.“

Der letzte Schrei im weiten Feld der Pizzen ist das sogenannte „Pairing“, also die Kombination der Pizza mit einem passenden Getränk.


Der letzte Schrei im weiten Feld der Pizzen ist das sogenannte „Pairing“, also die Kombination der Pizza mit einem passenden Getränk. Bis vor Kurzem waren beim Pizza-Genuss auch in Italien Mineralwasser oder – häufiger – ein Bier die Standard-Getränke. Notfalls ging auch ein Glas Rotwein, doch dieser taugt nicht wirklich zur Löschung des meist erheblichen Durstes, der mit dem Genuss einer Pizza einhergeht. Doch die Zeiten von profanem Mineralwasser, Bier und Wein sind inzwischen vorbei: Heute werden Pizzen mit co*cktails kombiniert. Der neue Klassiker ist – wie könnte es anders sein – die Pizza Margherita mit einer Margarita, dem berühmten Drink auf Tequila-Basis. Beliebt ist auch die Pizza Napoli (mit Sardellen und Kapern) mit einem Negroni, dem italienischen co*cktail aus Gin, rotem Wermut und Campari Bitter.

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Der vielleicht wichtigste Protagonist dieser neuen Pairing-Welle, die gerade Italien überrollt, ist Lorenzo Sirabella. Der 30-jährige Pizzaiolo stammt ebenfalls aus Neapel und hat nach ein paar Jahren auf Ischia im Jahr 2018 in Mailand das „Dry“ eröffnet, wo er das Format „Pizza&co*cktail“ entwickelte. Sein Lokal zählt zu den trendigsten der lombardischen Metropole, seine Pizzen laut Forbes zu den zehn besten des Landes. „Zu uns kommen die Leute aber nicht in erster Linie, um eine Pizza zu essen, sondern wegen des Ambiente und der neuen Erfahrungen, die man hier machen kann“, betonte Sirabella am Festival „Napoli Pizza Village“.

Das „Napoli Pizza Village“ war in der vergangenen Woche während zehn Tagen die größte Pizzeria der Welt: Auf einer Fläche von 50.000 Quadratmetern zeigten 300 Pizzaioli an Dutzenden von mobilen Holzöfen ihr Können; die tausenden Besucher konnten sich von den Pizza-Meistern in Workshops und Master-Kursen kostenlos in die Geheimnisse der perfekten Zubereitung einweihen lassen.

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Gleichzeitig fand bei dem Festival das Finale der Pizza-Weltmeisterschaften statt, an welchen weitere 600 Pizzaioli des ganzen Globus teilnahmen. Im September wird das „Napoli Pizza Village“, das 2012 erstmals durchgeführt wurde und in Neapel längst zu einem der wichtigsten Kultur-Events des Jahres geworden ist, auch in Mailand (4. bis 8. September) und in London (19. bis 22. September) seine Stände und Holzöfen aufbauen.

Das Originalrezept

Für eine Pizza Margherita nach Gino Sorbillo, einem der weltbesten Pizzaioli aus Neapel, benötigt man folgende Zutaten:

Teig

1 Liter Wasser

1,7 kg Weissmehl (Qualität 00)

Salz

2-3 Gramm Bierhefe

Belag

Tomatensauce (Typ Marzano DOC)

Basilikumblätter

Fior di Latte (frischer Mozzarella)

etwas Olivenöl Extravergine

Alle Teigzutaten vermengen und tüchtig mit den Händen durchkneten. Den Teig mindestens 24 Stunden zugedeckt ruhen lassen, bevor er ausgerollt wird. Den ausgerollten Teigfladen belegen und die Pizza anschließend im auf 430 bis 480 Grad aufgeheizten Holzofen während 60 bis 90 Sekunden backen.

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